Dienstag, 7. Oktober 2014

"Dei Mudder..." (Siegmund Freud) - Ergänzende Anmerkungen zu John Wick

Hier sind nur noch einige ergänzende Gedanken zu Wick's Ich-spiel-besser-als-ihr-alle-Pamphlet (via den obksuren Nachbarn), das in toto zur Genüge zerpflückt wurde, sei es von RPGnosis, sei es von RPGPundit, wobei ich besonders Spalter, definiere Charakterspiel hervorheben möchte. Hier wird die inhärente Dissonanz der Logik in Wicks Artikel herausgearbeitet (Erzählspiel vs. Rollenspiel).

Bei derlei umfassenden Rebuttals, was bleibt noch anzumerken? Ein paar Anmerkungen zu Wick's Grundannahmen.

Erste Annahme: Rollenspiel sollte cinematisch irgendwie wie Kino sein!

Och nö. Ich krieg immer Brechreiz, wenn ich was von "cinematisch" und ähnlichen Medien-Mix-Schwurbel lese, dazu Fußkrätze und Leberfäule. Ein Rollenspiel ist kein Film, ein Film ist kein Buch und ein Buch ist keine Kanne Milch. Ganz verschiedene Biester, ganz verschiedene Strukturanforderungen. Rollenspiel kann spannender sein als jeder Film, aber aus ganz anderen Gründen. Wenn Du unbedingt was Filmisches willst, dann dreh 'nen Film.

Abgesehen davon: Die meisten Regelsysteme geben einer Runde durchaus die Möglichkeit, den Riddick-Teacup-Move zu versuchen.

Zweite Annahme: Regeldetails tun nichts für die "Story"

Allein durch Wicks Storybegriff kann man zwei Herzanfälle bekommen, aber das lassen wir mal außen vor. Spielweltregeln verleihen der Welt Verläßlichkeit, Kontur und Farbe. Über den Grad an notwendigen Details läßt sich trefflich streiten, aber sie tut genau das. Spielweltregeln erschaffen ein an Gesetzmäßigkeiten gebundenes Spielfeld, auf dem alle Spieler zunächst gleichberechtigt sind.

Darüberhinaus ist jedes Detail eine Gelegenheit für Story. Der SC will den Präsidenten umlegen und beschafft die entsprechende Waffe (Cal .50 ermächtigt den SC, den Präsidenten zu töten). Leider ist der Sicherheitskordon weiter als sonst, so daß er seinen Schuß nicht setzen kann (Reichweite der Waffe limitiert den SC). Also muß er den Kordon überwinden und aus dem inneren Kreis feuern (soviele neue Möglichkeiten mit sovielen neuen Limitierungen und Ermächtigungen).

Details wie die von Wicks angesprochenen Waffenwerte ermächtigen und limitieren also die SC. Daraus erwachsen HINDERNISSE und KONFLIKTE. Eine gute Geschichte lebt von den Hindernissen und Konflikten, die den ZIELEN der Charaktere im Wege stehen und überwunden werden.

In diesem Paradigma einer Geschichte bieten Regeldetails Konfiktpotential, dessen Details von den Regeln definiert werden, die gleichzeitig eine plausible Auflösung ermöglichen. Regeln geben PLAUSIBILITÄT abseits der individuellen Vorstellungen der Spieler, was nun plausibel wäre. Vorstellungen, die arg schnell in Widerspruch zueinander geraten können, was zu rollenspielverhindernden Metadiskussionen führt.

Ein bekanntes Beispiel für eine solche Diskussion in einem weitgehend regellosen Rollenspiel ist "Peng! Du bist tot." - "Nein, bin ich nicht."

Dritte Annahme: Der Fokus eines Rollenspiels ist das "Erzählen von Geschichten."

Nein. Ganz simpel nein. Geschichten werden im Kino erzählt, auf der Bühne und in Büchern. Im Rollenspiel werden Geschichten erlebt durch einen kollaborativen Erzählprozeß der Beteiligten unter Anregung und Moderation entweder durch einen SL oder Metaregeln, die den SL ersetzen sollen. Wick selbst pocht auf diese Unterscheidung, ohne sie jedoch intellektuell in irgendeiner Form zur Kenntnis zu nehmen. Beeindruckende Doppeldenk-Leistung.
The reason roleplaying games are a unique art form is because they are the only literary genre where we walk in the hero’s shoes. We are not following the hero, we are not watching her from afar, we are not being told the story. As Robin Laws now famously said, "A roleplaying game is the only genre where the audience and the author are the same person."
Korrekt, Alter.

Vierte Annahme: "Video games like World of Warcraft call themselves roleplaying games".

Tun sie, aber nicht in dem Sinne, wie Wick hier meint. Eigentlich nennen sich Spiele wie WoW "Computer-Rollenspiele", in Anerkennung der Tatsache es mit vollkommen verschiedenen Medien und deren Gesetzmäßigkeiten zu tun zu haben. Mit der schwindenden Bedeutung von Pen&Paper war diese Differenzierung nicht mehr notwendig.

Aber auch noch heute wissen Spieldesigner, wie sehr sich ihre Produkte von einer Tischrunde unterscheiden. Was sich nicht zuletzt daran zeigt, daß Game Companies regelmäßige D&D-Runden als Extra Benefit ausweisen, was nur wenig Sinn ergäbe, wäre es dasselbe wie ein CRPG.

Fünfte Annahme: Call of Cthulhu und dergleichen sind was ganz anderes als D&D

Die mechanischen Paradigmen sind ident (gilt auch für BRP), der inhaltliche Fokus und das Gewicht ist allenfalls verschoben, aber das ist Lippenbekenntnis, das sich im Regeldesign nicht widerspiegelt.

Ach was soll's

Da ist noch vielmehr drin, vor allem bzgl. D&D und Videospielen, was aber schon anderer Stelle umfassend "gewürdigt" wurde. Auch Wicks Ausführungen zu Sozialen Konflikten scheppern schräg durchs Gehirn, und seine Conclusio schleppt sich angesichts des vorher abgebrannten Feuerwerks Sperrfeuers arg lahm über die Ziellinie.
So, GM’s… I now ask you… I urge you… I beg you… go through your favorite game. Right now. Get it off your shelf, pull it out of your back pack, and open it up. Get yourself a big, fat sharpie. And go through each page and ask yourself this question. "How does this rule help me tell stories?" If you can’t get an answer in ten seconds or less, get rid of it. Because all it’s doing is getting in your way. It’s another hurdle you have to overcome (...) You are not playing a board game. You’re playing a roleplaying game.
Hier läßt dann endgültig die "Besserspielerattitüde", die ich spätestens mit dem Schließen der Forge, aber eigentlich seit den späten 1990er Jahren nicht mehr salonfähig wähnte, die Maske fallen und zeigt ihre Fratze. Ich kann mir noch nicht mal ansatzweise vorstellen, was ihn dazu geritten haben mag, derlei provokanten Mist zu verzapfen, oder, um Boba vom Tanelorn zu zitieren:
Damit sind jegliche Anstrengungen, anderen ein “Ihr spielt nicht richtig!” aufzudrücken, echte Arschloch-Manieren. (Sorry, für den Kraftausdruck) Und nur darauf laufen Definitionsversuche hinaus. Wenn ich weiß, welche Kriterien ein Rollenspiel erfüllen muss, weiß ich endlich, wen ich ausgrenzen kann.
Richtig. Was haben wir hier also? Ein Designer rotzt einige auf falschen Axiomen beruhende Schlußfolgerungen, an die er sich nie gehalten hat (Siebte See, Siebte See, Siebte See) in die internationale Bloglandschaft, damit er sich (mal wieder) als besserer Rollenspieler darstellen kann.

Wahrscheinlich braucht er die Publicity. Lieber John, gern geschehen ;).



2 Kommentare:

Ingo hat gesagt…

Vielen Dank für die Verlinkung. Ich habe meinen Artikel entsprechend aktualisiert und einen Link zurück gesetzt.

Anonym hat gesagt…

"Peng! Du bist tot." - "Nein, bin ich nicht."

Das Grundproblem des Rollenspiels ;)

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